Impulse für mehr innere Ruhe, Verbindung und gemeinsame Zeit im Grünen
Von M.Sc. Psych. Mirjam Naudszus
Vor ein paar Wochen habe ich an einer Fortbildung der Deutschen Psychologen Akademie zum Thema naturgestützte Methoden teilgenommen. Seitdem möchte ich euch das Thema näher bringen – besonders in Verbindung zum Familienalltag. Denn gerade dort, wo es oft trubelig und eng getaktet zugeht, kann die Natur zu einem heilsamen Gegenpol werden.
Ganz aktuell beschäftigt mich das Thema noch einmal auf eine neue Weise: nach unserem Umzug finden wir gerade eine neue Alltagsstruktur. Dabei spielt natürlich eine Rolle, was Kinder eigentlich brauchen. Kinder brauchen Raum – Raum für Bewegung, für Spiel, für Entdeckung. Und wo könnten sie diesen Raum besser finden als draußen? In der Natur – auf Wiesen, Wegen, Spielplätzen.
Und genau hier kann die Natur helfen. In meinem Fall bedeutet das manchmal, mich im Park auf eine Bank zu setzen, während die Kinder auf dem Spielplatz toben.
Warum Natur? Ein Blick auf die Wurzeln
Die Verbindung von Mensch und Natur ist keine neue Idee. Schon in antiken Heilgärten wie dem Äskulap-Tempel in Epidaurus wurde sie therapeutisch genutzt. Heute bestätigen Studien, was viele intuitiv spüren: Der Aufenthalt im Grünen beruhigt, stärkt und verbindet.
Zwei wissenschaftliche Modelle liefern dafür eine fundierte Erklärung: Die Attention Restoration Theory (Kaplan & Kaplan) zeigt, dass Natur unsere Konzentrationsfähigkeit verbessert. Die Stress Recovery Theory (Ulrich) belegt, dass schon kurze Aufenthalte im Grünen unser Stresslevel senken – körperlich und seelisch spürbar.
Natur wirkt auf Groß und Klein
Für Kinder ist diese Wirkung besonders wichtig: Sie brauchen Orte, an denen sie sich frei entfalten dürfen.
Und wir Erwachsenen? Wir können uns von unseren Kindern viel abschauen. Während wir oft gehetzt durch den Tag eilen, bleiben Kinder stehen, sammeln kleine Schätze oder beobachten Insekten. Sie begegnen der Welt mit einer staunenden Achtsamkeit, die uns abhandengekommen ist.
Mit Pflanzen wachsen – die Kraft des Gärtnerns
Ein besonders interessanter Ansatz aus der naturgestützten Therapie ist die Social Therapeutic Horticulture (STH), also Gartenarbeit mit therapeutischem Hintergrund. Die Beschäftigung mit Pflanzen ist sinnstiftend, aktiviert Körper und Geist – und sie verbindet.
Gerade im Frühling ist der ideale Zeitpunkt, um gemeinsam etwas anzupflanzen – sei es im Garten, auf dem Balkon oder einfach in einem kleinen Gefäß auf der Fensterbank. Ein paar Küchenkräuter oder ein Blumensamen können zum Familienprojekt werden. Auch Naturgeräusche, gepresste Blätter oder das Basteln mit Fundstücken vom letzten Spaziergang schaffen wertvolle, kreative Begegnungen mit der Natur.
Fünf einfache Ideen für Zuhause und unterwegs
1. Natur-Schreibsprint mit Kindern
Auch für kleine Kinder kann Malen oder Basteln zur Reflexion werden. Fragen wie: „Welcher Fund aus der Natur passt heute zu deiner Stimmung?“ oder „Welche Blume wärst du – und warum?“ regen zum Gespräch an. Noch einfacher gelingt das mit gesammelten Naturmaterialien – Muscheln vom Urlaub, Steine oder Herbstblätter.
2. Achtsamkeit beim Spaziergang
Barfuß über Gras laufen, die Wolken beobachten, Tiere entdecken – Achtsamkeit in der Natur ist kein stilles Sitzen, sondern spielerisches Ankommen im Hier und Jetzt. Kinder zeigen uns oft ganz von selbst, wie das geht.
3. Kleine Gartenwunder erleben
Ein Minibeet, ein Kräutertopf oder selbst gemachte Saatkugeln – das Pflegen von etwas Lebendigem fördert Geduld, Verantwortungsgefühl und Stolz bei Klein und Groß. Schon die Vorfreude auf das erste Keimblatt wirkt oft Wunder.
4. Eine Natur-Bucketliste für die Jahreszeiten entwickeln
Im Herbst in Laubhaufen springen, im Winter Schneeengel machen, im Frühling etwas pflanzen, im Sommer im See schwimmen. Was wollt ihr mit euren Kindern draußen erleben? Eine gemeinsame Bucketliste schafft Vorfreude, Planung und Verbindlichkeit für wertvolle Naturmomente.
5. Rituale im Grünen schaffen
Ein Waldnachmittag pro Woche, ein Balkonfrühstück, ein Abend-Spaziergang – feste Rituale mit Naturkontakt fördern Sicherheit, Ruhe und ein starkes Wir-Gefühl.
Familienzeit, die wirklich verbindet
Naturgestützte Methoden brauchen keine Perfektion, kein großes Equipment und keine lange Vorbereitung. Was zählt, ist das bewusste Erleben – gemeinsam. Mit den Händen in der Erde, mit der Nase im Wind, mit offenen Augen und Herzen.
Denn manchmal ist das gute Leben ganz einfach. Und beginnt vielleicht mit einem selbstgepflückten Gänseblümchen.